Leitantrag der Landesvollversammlung vom 30. August bis 01. September 2024 in Oer-Erkenschwick
Wo stehen wir?
Das Jahr 2024 war ein voller Erfolg für die Linksjugend [‘solid] NRW:
Wir haben zahlreiche Neugründungen und Wiedergründungen von Basisgruppen erlebt, viele der neuen Basisgruppen haben sich dabei von Anfang an auch aktiv in die Landesverbandsarbeit eingebracht und mit anderen Basisgruppen vernetzt. Mehrere Basisgruppen, die vorher wenig Interesse an Landesverbandsarbeit zeigten, konnten durch aktive Ansprache besser in die Arbeit einbezogen werden. Durch diese drei Tendenzen konnte die Zahl der Basisgruppen, die auf Landesveranstaltungen präsent sind, vervielfacht werden.
Mit dem Revolutionären Maiwochenende in Gerolstein, gemeinsam mit den Landesverbänden Rheinland-Pfalz und Saarland, konnten wir ein großartiges neues Veranstaltungsformat etablieren, was Socializing und gute Bildungsarbeit vereint und für viele neue Genoss:innen ein toller erster Einstieg in die überregionale Verbandsarbeit war.
11 Basisgruppen aus ganz NRW haben sich beim Aktionstag „Solidarität statt Sparzwang“, der vom Landesverband NRW mitinitiiert wurde, beteiligt – wir waren damit der mit Abstand stärkste Landesverband beim Aktionstag.
Auf dem Diskussionstag zum Verhältnis der Linkspartei und der Landesvollversammlung in Bielefeld konnten wir gemeinsam eine strategische Orientierung erarbeiten, die uns Handlungsfähigkeit und eine gemeinsame Perspektive gibt.
Durch diese Entwicklungen haben wir eine so gute Stimmung im Landesverband wie schon lang nicht mehr – und auf diese Entwicklungen müssen wir aufbauen, denn um wirklich etwas verändern zu können, müssen wir noch viel stärker werden.
Die aktuelle gesellschaftliche Lage
Denn trotz der positiven Verbandsentwicklung hier vor Ort ist die politische Linke insgesamt noch meilenweit davon entfernt, den Anforderungen der aktuellen Situation gerecht zu werden:
Der globale Kapitalismus ist weiterhin in einer fragilen Situation, die mit einer Krise des internationalen Staatensystems einerseits und einer Legitimationskrise des herrschenden Systems und der etablierten Politik andererseits zusammenfällt und zusammenhängt.
Hier in Deutschland haben wir in den letzten Jahren massive Preissteigerungen zu verzeichnen gehabt, die nicht mit entsprechenden Lohnerhöhungen begleitet wurden. Die Ampel-Regierung fährt mittlerweile eine brutale Kürzungspolitik: Sanktionen für Arbeitslose werden verschärft, notwendige Investitionen in den ökologischen Umbau der Industrie und die Verkehrswende werden verweigert und soziale Infrastruktur wird kaputtgespart.
Global können wir eine Zunahme von imperialistischen Konflikten und Kriegen feststellen. Die brutalen Kriege in der Ukraine und Arzach, aber auch der Genozid in Palästina sind ein Ausdruck wachsender globalen Instabilität, in den nächsten Jahren ist weitere Eskalation verschiedener Konfliktherde zu erwarten.
In Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern führt die so steigende Unzufriedenheit und Unsicherheit zu einer Situation, die die äußerste Rechte, in Deutschland in Form der AfD, ausnutzen kann, um immer mehr Rückhalt zu gewinnen. Viele junge Menschen haben aus guten Gründen Angst vor der frauenverachtenden, queerfeindlichen, rassistischen und antidemokratischen Agenda der AfD und politisieren sich im Protest gegen diese – Anti-AfD-Proteste alleine sind aber keine überzeugende antifaschistische Strategie, gerade wenn diese von Parteien wie SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU instrumentalisiert werden, die das politische Programm der AfD in Regierungsverantwortung aktiv umsetzen. Auf unserem letzten Bundeskongress haben wir deshalb beschlossen:
„Um unserem Anspruch als antifaschistischer Jugendverband gerecht zu werden, reicht es nicht aus, Nazis doof zu finden: Gegen rechts hilft am besten eine starke Linke, die die sozialen Ursachen, die für den Aufstieg der Rechten verantwortlich sind, wirksam bekämpft, statt sich nur auf moralische Appelle zu verlassen. Wir müssen deshalb am Aufbau einer starken, klassenkämpferischen Linken arbeiten.“
Derzeit schaffen wir dies als politische Linke nicht. Uns fehlt Verankerung in Betrieben und Stadtteilen, wir sind zu weit weg von den alltäglichen Problemen der Menschen und wir schaffen es nicht, unsere Programmatik mit einer Durchsetzungsperspektive zu verbinden. Oft werden wir mittlerweile als linker Flügel des Establishments angesehen, was uns daran hindert, enttäuschte und wütende Menschen von sozialistischer Politik zu überzeugen und für diese zu organisieren.
Das wollen wir ändern: Wir wollen unseren Schwerpunkt auf Klassenpolitik fortsetzen und ausbauen. Wir wollen unseren beschlossenen Fokus auf Verankerung in abgehängten Stadtteilen und Regionen in konkrete Handlungsschritte überführen und gemeinsam mit der Linkspartei am Wiederaufbau einer gesellschaftlichen Basis für sozialistische Politik arbeiten.
Kommunalwahlen und Bundestagswahl 2025 werden dabei entscheidend dafür, mit wie viel Ressourcen Die Linke und wir diesen Wiederaufbau der sozialistischen Linken angehen können: Finanzen, Personal und öffentliche Wahrnehmbarkeit der Partei Die Linke hängen derzeit leider stark von Wahlen ab. Ohne eine Vertretung im Bundestag wird es schwerer für die politische Linke sein, Sozialkürzungen, Aufrüstung und verfallende Infrastruktur öffentlicheitswirksam anzuprangern und ein wichtiger parlamentarischer Ansprechpartner für Gewerkschaften, Sozialverbände und soziale Bewegungen fällt weg. Bei großen Verlusten bei den Kommunalwahlen droht ein Verlust von Handlungsfähigkeit vor Ort. Das gilt es zu verhindern, und dazu müssen wir als sozialistischer Jugendverband unseren Beitrag leisten. Um das zu erreichen, planen wir zum ersten Mal seit mehr als 10 Jahren eine Jugendkandidatur inklusive Jugendkampagne für die Bundestagswahl. Die Jugendkandidatur dient dabei als Mittel zum Verbandsaufbau und als Gesicht für uns im Bundestagswahlkampf und nicht, um einer Person für ihre individuelle Kampagne ein Votum zu geben.
Unser Arbeitsprogramm
Um diese Herausforderungen annehmen zu können und den erfolgreichen Aufbau unseres Landesverbands fortzusetzen, nehmen wir uns ein ambitioniertes Arbeitsprogramm vor.
Im letzten Quartal des Jahrs 2024 wollen wir mit einer groß angelegten Neumitgliederkampagne unser Mitgliederwachstum in diesem Jahr weiterführen, um so mit noch mehr Aktiven in das Jahr 2025 starten zu können. Dafür wollen wir auf drei Säulen setzen: 1. Neumitgliederwerbung direkt durch die Basisgruppen, die durch ein „Wettbewerbs“-Format unterstützt wird; 2. Gezielte Anwerbung von Linksparteimitgliedern unter 35, die gerade noch kein Mitglied bei der Linksjugend [‘solid] sind; 3. Mitgliederwerbung über Social Media. Außerdem stehen die Einarbeitung der neu gewählten Gremien und Delegationen sowie ein Bildungstag für Frauen und Nichtbinäre, ein Diskussionstag zu Sozialpolitik und ein Awarnessworkshop an. Durch eine gute Übergabe und koordinierte Strategiefindung wollen wir unsere Delegationen für Bundeskongress und Landesparteitag stärker handlungsfähig machen.
Im ersten Quartal 2025 wollen wir einerseits eine Women Self Defense-Schulung nach dem Vorbild unser schwedischen Schwesterorganisation „Ung Vänster“ durchführen. Ung Vänster hat es geschafft, durch Ausbildung von Trainerinnen für Selbstbehauptungsworkshops, die physische Selbstverteidigung mit kollektiver Selbstermächtigung, Bewusstseinsentwicklung und theoretischer Schulung verbinden, und systematische landesweite Durchführung dieser Workshops Frauen in der Organisation zu stärken und neue Frauen in die Organisation zu holen. Die massive Überrepräsentation von Männern im Vergleich zu Frauen in unserer Organisation widerspricht nicht nur unserem feministischen Anspruch, sondern ist auch ein Hemmschuh für unsere Organisationsentwicklung, da wir so einen großen Teil der Bevölkerung schlechter ansprechen können. Deshalb ist dieses Programm für uns eine Priorität im ersten Quartal. Eine Kooperation mit anderen Landesverbänden wird angestrebt.
Der zweite große Schwerpunkt im ersten Quartal ist unsere Frühjahrs-Landesvollversammlung, auf der unsere Kampagne zur Bundestagswahl startet. Bis zu dieser Versammlung soll ein ausführliches Kampagnenkonzept erarbeitet werden, außerdem soll auf der Versammlung ein koordinierendes Kampagnenteam gewählt werden. Mit Workshops zu Kampagnenplanung und Basisgruppenaufbau im Rahmen des Bundestagswahlkampagne sollen die Basismitglieder zur starken Beteiligung an der Kampagne geschult werden. Diese Schulung soll auch durch eine Tour durch alle aktiven Basisgruppen erfolgen, in denen Skills für die Erstellung einer strategischen Jahresplanung mit Hinblick auf die Bundestagswahl vermittelt werden. Ggf. ist eine Zusammenarbeit mit der Bundesebene bei dieser Tour denkbar.
Im 2. Quartal steht vom 19.-22. Juni die zweite Auflage unseres Bildungswochenendes gemeinsam mit den Landesverbänden Saarland und Rheinland-Pfalz in Gerolstein an. Dieses mal haben wir noch einen Tag länger Zeit für Vernetzung, Skill-Sharing, Bildung und ganz viel Spaß! So können wir mit Motivation, guter Laune und Energie in die Bundestagswahlkampagne starten.
Außerdem wollen wir im 2. Quartal gezielt Energie investieren, um unsere Verankerung im Ruhrgebiet zu stärken. Im Ruhrgebiet konnten wir 2024 durch einige Neugründungen wieder stärker einen Fuß fassen, darauf wollen wir aufbauen. Dafür wollen wir auch verstärkt auf vorpolitische Mitmachangebote von Spieleabend bis Häkelkreis setzen, um so neue Menschen anzusprechen.
Im 2. Quartal steht außerdem voraussichtlich ein bundesweiter Aktionstag als erster Strukturtest für die Bundestagswahlkampagne an – wir wollen hier an die Erfolge vom Aktionstag „Solidarität statt Sparzwang“ anknüpfen und uns wieder als stärkster Landesverband am Aktionstag beteiligen! Auf und neben dem Aktionstag werden auch erste öffentliche Aktionen mit unserer Jugendkandidatin stattfinden. Hier setzen wir auf Präsenz vor Ort und direkte Gespräche mit den Menschen statt nur auf Reden von einer hohen Bühne.
Das 3. Quartal steht ganz im Zeichen des Wahlkampfs für Kommunalwahlen und Bundestagswahl. Mit einer Kundgebung- und Gesprächstour mit unserer Jugendkandidatin wollen wir noch stärker Präsenz vor Ort zeigen und streben sowohl die Gewinnung von Neumitgliedern durch verstärkte Sichtbarkeit, Aktivität und mediale Aufmerksamkeit als auch ein möglichst starkes Ergebnis für die Linkspartei an.
Nach dem Wahlkampf steht dann direkt die nächste große Herausforderung vor der Tür: In Wahljahren können wir immer mit besonders vielen Neubeitritten rechnen, die wir dann, um das Momentum nicht zu verlieren, schnell in unsere Strukturen integrieren müssen. Durch gezielte Schulung der Basisgruppen für eine einladende Verbandskultur und Integration von Neumitgliedern, z.B. durch eine Workshop-Tour, wollen wir dies sicherstellen.